FRANZ LISZT – PINUCCIA GIARMANÀ – ALESSANDRO LUCCHETTI, PIANO FOUR HANDS
GALLO CD-817
Franz LISZT :
Hungarian Rhapsody No. 2 for Piano four Hands, S. 244 – Gaudeamus Igitur for Piano four Hands, S. 240 – Fest-Polonaise for Piano four Hands, S. 230a (S. 528) – Weihnachtsbaum for Piano four Hands, S. 186.
Pinuccia Giarmanà & Alessandro Lucchetti, Klavier.
Der Weihnachtsbaum von Liszt
Bela Bartók beschwerte sich oft über das absolute Unverständnis, dem die Werke von Liszt begegneten, und er beklagte den Erfolg dessen musikalisch weniger hervorragenden, aber pianistisch effektvolleren Werke. Für ihn bestand darin der Hauptgrund, daß für die Entwicklung der modernen Musiksprache bedeutungsvolle Werke in Vergessenheit gerieten.
Er behauptete, daß die „wirkliche Bedeutung“ von Liszts Kunst eben in seinen späten und weniger bekannten Werken zu finden sei; diese seien außerordentliche Beispiele von Innovation, Kühnheit und neuen Harmonien, Meilensteine des zukünftigen musikalischen Fortschritts, in diesem Sinne bedeutender als die Werke Strauß’ und Wagners, die eigentlich Liszt viel zu verdanken hätten (Wagner sagte einmal, daß, nachdem er den Werken Liszts begegnet war, seine Harmonien sich völlig anders entwickelten).
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„Der Weihnachtsbaum“, zwölf Musikstücke in drei Bänden, gehört sicherlich zu dieser Gruppe von Werken, die den von Bartók unterstrichenen Eigenschaften voll gerecht werden: Es ist ein essentielles Werk, harmonisch komplex und gewagt, ohne jegliche virtuose Äußerlichkeiten. Es wurde zwischen 1874 und 1876 komponiert, zuerst nur für Klavier und später erweitert für Klavier zu vier Händen; es ist gleichzeitig oder nur kurz vor den letzten großen religiösen Kompositionen Liszts entstanden. Diesen Werken ist ein starkes mystisches Gefühl und kompositorisches Experimentieren gemeinsam, die sich durch die Wiederaufnahme der modalen gregorianischen Tonarten und der Diatonik ausdrücken, die außerordentlich flexibel und vielfältig erscheinen.
Im „Weihnachtsbaum“ geht die harmonische Zweideutigkeit Hand in Hand mit einem weisen Gebrauch der modalen Schreibweise. Man denke vor allem an „Oh heilige Nacht“ (von diesem Werk existiert auch eine Version für Tenor, Frauenchor und Orgel), ein Weihnachtslied, das auf einer alten dorischen Melodie basiert.
Die Suite überrascht durch den fast asketischen Verzicht auf jede Form von instrumentaler Theatralität und äußerlichem Effekt, durch ihre Einfachheit und den nostalgischen und meditierenden Geist, der sie beseelt. Mit wenigen Mitteln schafft Liszt eine raffinierte, naive und märchenhafte Welt: „Schlummerlied“ in Fis-Dur mit wundervoll unaufgelösten Harmonien. „Scherzoso“ beschreibt das Aufleuchten des Baumes. „Abendglocken (Andante Affettuoso)“ ruft durch seine modale Atmosphäre einen austeren Glockenklang hervor.
Das Werk wird durch eine barbarische, beinah Bartoksche Rhythmik, „Ungarisch“, und durch die melancholische Evokation der Walzer Chopins, „Polisch“, abgeschlossen.
Liszts Weihnachten hält die äußerliche traditionelle Form des religiösen Festes in seiner klanglichen Umwandlung ein, versetzt aber zugleich in die geheimnisvolle Zeit des Traums und in die magische und illusions-reiche Zeit der Kindheit. Seine Weihnacht ist das Fest des Gedenkens („Ehemals“ nennt sich das Andante das dem festlich belebten „Ungarisch“ vorausgeht) und des rituellen Erstaunens, das sich in der hypnotischen Melodie „Carillon“ erneuert.
Wir glauben, daß Liszt moderner ist als Wagner, und nicht nur wegen der harmonischen Experimente (wie Bartók richtig bemerkte), sondern auch durch das Überschreiten der romantischen Ästhetik selbst, wie der „Weihnachtsbaum“ bezeugt. Es scheint uns nämlich, daß Liszt, obwohl das Wiederaufleben lassen der Volksmelodien und Festgesänge vieler europäischer Völker bei ihm sehr persönlich und romantisch gefärbt ist, eine vor-impressionistische „Objektivität“ anstrebt, indem seine zwölf Musikstücke auch selbständige Bilder sind, die Geschehnisse und Einflüsse des realistischen und symbolischen Weihnachtsgedankens beschreiben.
Die anderen Stücke, die hier aufgenommen wurden, zeigen als Kontrast das bekanntere Gesicht der Klavierkunst Liszts. Die Festpolonaise, ein „Allegro Pomposo“ in Es-Dur, im Januar 1844 während eines Aufenthalts in Tivoli geschrieben, ist die einzige Originalkomposition von Liszt für Klavier zu vier Händen. (Die Variation über das Thema „Cotolette“ ist kaum nennenswert, zumal es sich um eine Gemeinschaftskomposition handelt, an der auch Borodin und Rimski-Korsakov teilnahmen).
Gaudeamus Igitur hingegen und die ungarische Rhapsodie Nr. 2 sind Bearbeitungen von Liszt selbst, einerseits der Humoreske für Männerchor und Orchester, die anläßlich der Jahrhundertfeier der akademischen Konzerte in Jena komponiert wurde, und andererseits des gleichlautenden berühmten Werks für Klavier, das von der ursprünglichen Tonart Cis-Moll nach C-Moll transponiert wurde.
Giulio Gattinara
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