Caroline Boissier-Butini - Edoardo Torbianelli, Pianoforte

CAROLINE BOISSIER-BUTINI – EDOARDO TORBIANELLI, PIANOFORTE

GALLO CD-1418

First World Recording

Award: 5 Diapason

 

Caroline BOISSIER-BUTINI : Piano Sonata No. 1 – Caprice sur l’air d’une ballade écossaise (Roy’s Wife of Aldivalloch) – Sonatine No. 1, dédiée à Melle Valérie Boissier – Variations sur deux airs languedociens – Piano Sonata No. 2 – Caprice et variations sur un air bohémien.

Edoardo Torbianelli, Pianoforte Broadwood.

Die Sonaten

Als das musikalische Oeuvre von Caroline Boissier-Butini 2002 wiederentdeckt wurde staunten wir, dass sich darunter auch Klaviersonaten befanden. Diese Gattung war in Frankreich zu ihren Lebzeiten fast ausschliesslich entwe- der durch dort lebende deutsche Musiker oder durch Musikerinnen, die von der deutschen Musikkultur geprägt worden waren, vertreten.

Da Genf 1798 von Frankreich annektiert worden war (bis 1814), liegt die Vermutung nahe, dass die musikalische Bildung der jungen Caroline Butini massgeblich von der französischen Kultur geprägt wurde. Was bewegte die junge Musikerin, sich mit einer Form zu beschäftigen, die in Frankreich kaum kultiviert wurde? Protest?

Jedenfalls steht die Sonate im Repertoire oder im Werkkatalog einer Musikerin, eines Musikers ihrer Generation für ein Mittel zur Erlangung einer eigenständigen künstlerischen Persönlichkeit, im Gegensatz zum „Concerto“, das hauptsächlich dazu diente, die Virtuosität der Interpretierenden hervorzuheben. Die allmählich auch im französischen Sprachraum greifende Differenzierung zwischen gefälliger und ernsthafter Instrumental- und insbesondere Kammermusik dürfte auch Caroline Boissier-Butini bewusst gewesen sein.

Mindestens zweimal beschloss sie in den 1810er Jahren, ein Jahr lang nicht zu komponieren und sich stattdessen dem Studium der Musik der„alten Meister” zu widmen, um so ihr kompositorisches Fundament zu festigen. Dies deutet darauf hin, dass ihr musikalisches Wirken nicht allein auf Effekthascherei ausgerichtet war, sondern dass sie sich durchaus ein eigenständiges musikalisches Profil aneignen wollte, was sich in ihrem Vorhaben, ihre Werke und namentlich ihre Sonaten 1818 in Paris veröffentlichen zu lassen, widerspiegelt.

Der nach der Sonatensatzform gegliederte Satz, wie er von Adolf Bernhard Marx („Die Lehre von der musikalischen Komposition”, Leipzig 1837-1847) beschrieben wird, wurde erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Norm für die Analyse insbesondere von Ludwig van Beethovens komplexen Sonaten sowie für den Unterricht beigezogen. Angesichts der unzähligen Abweichungen wird die Sonatensatzform inzwischen eher als Orientierungshilfe gebraucht, die keinen Anspruch auf historische Angemessenheit oder normative Geltung er- hebt. Was die Form anbelangt, so liefert zudem der Vergleich der Definitionen in deutschen und französischen Musiklexika den Schlüssel zum Verständnis der formalen Unterschiede zwischen den beiden Ländern.

Heinrich Koch schreibt in seiner Definition der Sonate 1802: „Es ist daher bey der Sonate nicht genug, daß der Hauptsatz oder das Thema jeden Theils derselben den Ausdruck einer bestimmten Empfindung erhalte, sondern er muß auch, um den Stoffzu Fortdauer dieser Empfindung zu erhalten, mit den damit in Verbindung gebrachten Nebengedanken immer in neuen und interessanten Wendungen und Verbindungen zum Vorscheine kommen, damit der Verfolg des Ganzen die Aufmerksamkeit fessle, und der Ausdruck der Empfindung in allen ihrem Modifikationen für unser Herz Interesse gewinne.“

In der Definition von Francois-Joseph Castil-Blaze von 1821 hingegen gibt es weder zu Form noch zu Ablauf Vorgaben; er definiert die Sonate als „Instrumentalstück aus drei oder vier aufeinander folgenden Einzelstücken von verschiedenem Charakter. […]. In einer Komposition dieser Art wird alles daran gesetzt, das Instrument, für das komponiert wird, so glanzvoll wie möglich darzustellen, sei es durch die Wahl der wohlklingensten Klänge, sei es durch die Kühnheit der Ausführung.“ Als Komponisten bedeutender Sonaten nennt er„Händel, Bach, Mozart, Haydn, Clementi, Cramer, Dussek, Beethoven, Steibelt, Pleyel, Adam, Kalkbrenner, Mademoiselle de Montgeroult.“

Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die Sonaten von Caroline Boissier-Butini und ihrer französischen Zeitgenosslnnen nicht dem lange als klassisch betrachteten Schema folgen. In ihren Sonaten kommt der Wille zum Ausdruck, die reine Virtuosität und Effekthascherei zu überwinden zu Gunsten von mit dem Publikum geteilten Gefühlen: wir sind hier musikalisch bereits im Zeitalter der Romantik angelangt. Melodische Inspirationsquellen findet sie für ihre Sonaten ebenfalls in Weisen im Volkston (1. Sonate: 2. Satz; 2. Sonate: 3. Satz), sowie im klassischen Repertoire. Überraschend wirkt die Anlehnung an einen reformierten Choral im letzten Satz der zweiten Sonate.

Bei den Satzbezeichnungen der beiden Sonaten fällt auf, dass der erste Satz jeweils ohne Angaben ist; in beiden Fällen handelt es sich zweifelsohne um ein Allegro; der Mittelsatz der 1. Sonate ist mit Adagio bezeichnet, derjenige der 2. Sonate mit Andante. Beide Stücke enden mit einem Rondo, das wiederum Gelegenheit zu extensiven Variationen gibt.

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Die Variationen

Caroline Boissier-Butini gehört zur ersten Generation von Komponistlnnen, für die das „theme varié“ eine feste, vollständig geschriebene Form ohne |mprovisationsmöglichkeiten für die Interpretin oder den Interpreten darstellen konnte.

Sie gehört auch zu einer Generation, für die Variationen das Fundament des Schaffens darstellten. So enthält die Hälfte der Werke aller Gattungen von Ludwig van Beethoven Variationen. Die von der Genfer Musikerin bevorzugte Form mit einer Einleitung, meistens sieben Variationen und einem Finale findet sich namentlich bei Johann Nepomuk Hummel (1778-1837) und bei Carl Maria von Weber (1786-1826).

Sie hat für das Klavier gemäss heutigem Wissensstand vier Stücke geschrieben, die auf Variationen aufbauen. Die Themen zwei dieser Stücke sind bekannt: Die „Variations sur I’air Dormez donc mes chers amours“ (CD VDE-Gallo 1406) und „Caprices sur l’air d’une ballade écossaise“. Im ersten Fall handelt es sich um ein französisches Volkslied aus dem 18. Jahrhundert, das 1827 durch die Zitierung in Ferdinand Hérold’s balIet-pantomime „La somnambule“ zu grosser Berühmtheit gelangte, aber schon vorher in verschiedenen Vokal- und instrumentalfassungen im Druck erhältlich war. „Roy’s Wife of Aldivalloch“ gehört zu den bekanntesten schottischen Liedern. Die Volksweisen „Airs languedociens“ und „Air bohémien“ sind noch nicht identifiziert. Handelt es sich um Zitate aus gedruckten Sammlungen mit Volksweisen oder hat die Musikerin ihre eigenen Themen im Volkston erfunden?

Die Verarbeitung von Volksweisen oder von Weisen im Volkston war am Anfang des 19. Jahrhunderts in sämtlichen musikalischen Gattungen weit verbreitet. Mit der Stärkung der bürgerlichen Gesellschaft entstand auch das Bedürfnis der Identifizierung mit einem Nationalstaat. Gleichzeitig wächst im Zuge des erwachenden Tourismus und der Entdeckung der Natur durch die Romantik das Interesse für fremdartige Kulturen.

Sämtliche Komponistlnnen des frühen 19. Jahrhunderts befassen sich mit Melodien im Volkston und nutzen sie namentlich als Ausgangspunkt für Variationen. In Frankreich zählt das „thème varié“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert zu den virtuosen Stücken Im Gegensatz zu den späteren Stilübungen mit einem Thema und einer gewissen Anzahl Variationen enthalten die „themes variés“ aus der Zeit von Caroline Boissier-Butini oft eine ausgiebige Einleitung, eine Code sowie weitere Episoden ohne melodischen Bezug zum Thema.

Schon 1806 moniert der belgische Musiktheoretiker Joseph-Jéröme de Momigny (1762-1842) in seinem „Cours complet d’harmonie et de composition“ die Effekthascherei, die mit den „airs variés” betrieben wurde. Diese Bravourstücke erfreuten sich allerdings grösster Beliebtheit. Sowohl bei den Interpretierenden als auch beim Publikum erwiesen sie sich als regelrechte Verkaufsschlager. Während die Variationen überThemen aus Opern erlaubten, im Musiktheater gehörte Themen weiter zu verbreiten, können die Variationen über Themen aus fremden Ländern mit der Ende des 18. Jahrhundert entdeckten Reiselust und dem interesse für alles Exotische in Zusammenhang gebracht werden.

Caprice sur l’air d’une ballade écossaise“

Schottische Kultur erfuhr namentlich im Zuge der Dichtung-, Sammel- und Veröffentlichungstätigkeit des Schotten Robert Burns (1759-96) auch auf dem europäischen Kontinent grosse Resonanz. „Roy’s Wife of Aldivalloch“ gehört zu den bekanntesten Liedern aus dieser Gegend; Burns hatte es 1793 von seiner Autorin, der ebenfalls Schottischen Liederschreiberin Elizabeth Grant (1745-1814) transkribiert. Zweifelsohne hatte Caroline Boissier-Butini Zugang zu einer gedruckten Vorlage des Lieds „Roy’s Wife“, denn das zu variierende Thema wird integral zitiert. Neben der um sich greifenden „Natur-Mode“ spielt bei der Wahl des Stücks im Falle von Caroline Boissier-Butini auch eine ausgeprägte Anglophilie eine Rolle. Das Kompositionsdatum des „Caprice“ ist zwar nicht bekannt, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Musikerin während ihrer Reise nach London 1818 von der Atmosphäre der Britischen Inseln inspirieren liess.

Erstaunlich ist die Bezeichnung des Stücks mit „Caprice“ durch die Komponistin. Unter einem „Caprice” versteht man im französischen Sprachraum bis etwa 1840 eine Etüde für Klavier oder Violine, wie etwa im Fall von Paganinis Capriccien für Violine. Erst später stand es für ein Stück im Geiste der romantischen Fantasie mit Variationen über fremdländische Themen, wie sie hier vorliegt.

Das Vorspiel zum „Caprice“, mit „Maestoso“ bezeichnet, steht in der klassischen Tradition und erinnert an die Musik von Johann Nepomuk Hummel, oder gar an den deutschen Barock, denn es endet mit einem Choral. In den Variationen durchsetzt Caroline Boissier-Butini das thematischen Material mit zahlreichen virtuosen Einlagen, möglicherweise um ihr pianistisches Können zu beweisen. Sind diese Ausbrüche vielleicht auch der Ausdruck ihrer Vorstellung eines von Naturgewalten zerzausten Schottlands? Das schottische Thema wird siebenmal variiert, wobei die Komponistin in der Mitte des Stücks noch ein „Mouvement de marche” einschiebt. Den Abschluss bildet auch hier ein brillantes Presto.

Die „Sonatine 1e dédiée à Mlle Valérie Boissier“

Caroline Boissier-Butini hat dieses kurze Stück für ihre Tochter Valérie, der späteren Schriftstellerin und Sozialreformerin Comtesse de Gasparin (1813-1894), geschrieben, deren Klavierspiel seit dem fünften Lebensjahr nachgewiesen ist. Daher dürfte die Sonatine zwischen 1817 und 1820 entstanden sein. Der Ausdruck „Sonatine” ist hier im Mozart’schen Sinne von „kurze, leichte Sonate für Anfänger“ zu verstehen.

Mit ihren 42 Takten entspricht ihre Länge auch den kurzen Stücken in Johann Nepomuk Hummels 1827 veröffentlichtem Lehrgang „Ausführliche theoretisch-practische Anweisung zum Piano-Forte-Spiel”. Trotz der auf weitere Sonatinen hinweisenden Nummerierung sind bislang im Boissier-Nachlass keine weiteren Stücke dieser Gattung zum Vorschein gekommen, auch fehlen weitere Sätze dieser ersten Sonatine. Auffallend ist, dass sämtliche Noten der ersten neun Takte mit Fingersätzen versehen sind, dass aber im weiteren Verlauf des Stückes sämtliche Angaben fehlen. Handelt es sich um einen ersten Versuch für eine oder mehrere Sonatinen, die anderswo erhalten sind? Oder reichte Mme Boissier diese Skizze, um mit ihrer Tochter gewisse technische Aspekte zu üben? Inhaltlich scheint das Stück zum Üben des Ausdrucks gewisser Wendungen geschaffen zu sein.

Das Interesse des Stücks liegt in seiner pädagogischen Anlage. Caroline Boissier-Butini hat sich ein Leben lang mit lerntechnischen Fragen beschäftigt. Am Ende der Reisebeschreibungen von 1818, nach Ihren Unterhaltungen mit Cramer und Kalkbrenner, zieht sie eine Zwischenbilanz: Wie schon zuvor wird sie Fugen von Johann Sebastian Bach spielen, sowie die Etüden von Cramer „und von allen Klassikern”, die ihr Cramer empfohlen hat. Ein Jahr lang nimmt sie sich vor, nichts zu komponieren, um ihre Fingerfertigkeit zu verbessern und so selbstverständlicher und spontaner improvisieren zu können. Ebensonimmt sie sich vor, mit mehr Empfindung und differenzierterem Anschlag zu spielen. Die Anerkennung der beiden Meister des Klaviers haben sie auf ihrem Weg bestätigt und beflügelt: „Als mich Kalkbrenner spielen hörte meinte er, mein Anschlag sei mit seinem verwandt und er erkannte seinen eigenen Stil in meinen Läufen. Cramer sagte mir, ohne das ernsthafte Studium seiner Übungen wäre ich nie zu dem geworden, was ich bin.”

Ihr Können ist umso beeindruckender, als ja nicht bekannt ist, bei wem sie in Genf als junges Mädchen Unterricht hatte. ihre Tochter hat sie von Anfang an selber unterrichtet. Zur Vervollständigung ihres Könnens erhielt Valérie im Winter 1831-1832, den die ganze Familie Boissier in Paris verbrachte, Unterricht beim nur um ein Jahr älteren, aber bereits berühmten Franz Liszt. Caroline begleitete ihre Tochter zu diesen Klavierstunden und hielt deren Inhalt akribisch schriftlich fest. Diese „Protokolle“ wurden von den Nachkommen 1923 zum ersten Mal veröffentlicht, unter dem Namen „Mme Auguste Boissier“ und unter dem Titel „Liszt pédagogue”.

Das Büchlein kannte mehrere Neuauflagen und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, handelt es sich doch um einen einmaligen Einblick in die pädagogischen Leistungen des Musikers. Liszt hat für Valérie ebenfalls ein paar Geläufigkeitsübungen geschrieben. Diese wurden von einem Nachkommen – nach Umwegen anlässlich – einer Auktion im Frühjahr 2013 zurück gekauft.

Variations sur deux airs languedociens“

Hier variiert die Komponistin nicht nur ein Thema, sondern gleich zwei. Das erste, in a-Moll, ist mit „Le beau Tircis, Andante“ bezeichnet und seine Harmonik erinnert an ein provengalisches Lied; das zweite mit „Pastourelletta Presto” betitelt, ist in A-Dur; der Bezug zum Languedoc oder zu Okzitanien ist hier nicht auf Anhieb erkennbar; es handelt sich um eine Melodie im Volkston im weitesten Sinne, der harmonisch an eine ungarische csárdás erinnert. Bei beiden Themen ist dabei nicht klar, ob es sich um bekannte Melodien handelt oder ob Caroline Boissier-Butini mit charakteristischen Assoziationen selber im Volkston komponiert hat. In ihrem 6. Klavierkonzert „La Suisse“ hat sie einen Kühreihen integralzitiert (CD VDE-Gallo 1277); es ist daher denkbar, dass sie die unzähligen Volksliedsammlungen aus dem 18. oder dem frühen 19. Jahrhundert aus Frankreich gekannt hat, wie etwa das „Recueil des noëls provenceaux” von Nicolas Saboly, das seit seiner ersten Veröffentlichung 1699 bis 1854 immer wieder neu aufgelegt werden ist. Auch die Tatsache, dass die Musikerin das Schottische Volkslied „Roy’s Wife of Aldivalloch” als Thema für Variationen verwendet hat könnte ein Hinweis dafür sein, dass die beiden Themen aus dem Languedoc aus bestehenden Liedsammlungen stammen. Der Topos des schönen Schafhirten Thirsis, der auf den griechischen Dichter Theokrit zurück geht, ist im 17. und 18. Jahrhundert auch in Malerei, Dichtung und Musik unter dem Einfluss der„Zurück zur Natur” Bewegung vielfach verwendet werden.

Die „Variations sur deux airs languedociens“ folgen dem Schema Einleitung – Thema 1 – Variationen – Thema 2 – Variationen – Coda prestissimo somit dem gängigen Modell. Die Komponistin spielt geschickt mit dem Kontrast zwischen poetischem a-moll und fulminantem A-Dur, wobei der Grundcharakter des Stücks trotz der virtuosen Eruptionen beschaulich ist.

Caprice et variations sur un air bohémien“

Ab den 1810er Jahren sind „böhmische Weisen“ viel genutzte Ausgangspunkte für Variationen und somit ist Caroline Boissier-Butini am Puls der Zeit. Auffallend ist die Verwandtschaft zwischen dem zweiten Thema dieses Stücks und dem zweiten Thema, das Antonin Dvořák etwa sechzig Jahre später in seinem Slawischen Tanz Op. 46 Nr. 1 verwendet hat. Während erwiesen ist, dass die Themen des tschechischen Komponisten aus seiner eigenen Feder stammen wissen wir nicht, ob die Genferin sich von böhmischer Harmonik und Rhythmik inspirieren liess oder ob sie das erwähnte Thema in einer Sammlung gefunden hatte.

Die sieben Variationen sind weniger extensiv und einfallsreich als diejenigen über das schottische Thema – so machen in diesem Stück die Einleitung und das Finale die Hälfte der Partitur aus. Harmonisch eindrücklich sind die kurzen Intermezzi zwischen den sieben Variationen, die die Musik von Franz Schubert (den Caroline Boissier-Butini zumindest zum Zeitpunkt der Komposition nicht gekannt hat) oder gar Frédéric Chopin vorahnen lassen.

Insgesamt bestätigen die vorliegenden, zum ersten Mal eingespielten Stücke von Caroline Boissier-Butini den oft unkonventionellen Charakter ihrer Musik – wie schon die vier Werke der ersten erschienen CD (VDE-Gallo 1277). Dies dürfte, gemäss den vorliegenden Quellen, teilweise auf ihre defizitäre Ausbildung zurückzuführen sein. Es kann nicht genug auf das äusserst bescheidene Genfer Musikleben zu Caroline Boissier-Butinis Lebzeiten hingewiesen werden, wo sowohl die Ausbildungsmöglichkeiten als auch die Vorbilder dürftig waren. Zweifelsohne sind ungewohnte Wendungen in ihrer Musik jedoch auch Ausdruck von Selbstbewusstsein und Modernität: Der karge musikalische Nährboden kann daher auch als Chance gesehen werden, denn kein Kanon und keine Vorbilder hemmten innovation und Konventionsbrüche.

Man denke diesbezüglich an Franz Schubert, der zur selben Zeit, um sich frei entwickeln zu können und seine Vorliebe für die Vertonung deutscher Gedichte ausleben zu können seinen Lehrmeister Antonio Salieri verlassen musste, weil dieser einseitig auf die italienischsprachige Oper orientiert war – die damals prestigeträchtigste musikalische Gattung. Ausserhalb der musikalischen Metropolen waren solche Zwänge weniger ausgeprägt. Als selbständig agierende, finanziell unabhängige Musikerin ist es Caroline Boissier-Butini gelungen, ihre Freiheit musikalisch auszuleben.

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CHF 19.50

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