Vivaldi - Marcello - Telemann - Omar Zoboli, Oboe - Ensemble "Il Falcone"

VIVALDI – MARCELLO – TELEMANN – ALBINONI – UN OBOE NEL « TEATRO DEGLI AFFETI » – OMAR ZOBOLI – ENSEMBLE « IL FALCONE »

GALLO CD-1508

Alessandro MARCELLO : Oboe Concerto in D Minor, S. Z799: I. Andante e spiccato – II. Adagio – III. Presto – Antonio VIVALDI : Oboe Concerto in C Major, RV 451: I. Allegro molto – II. Largo – III. Allegro – Georg Philipp TELEMANN : Oboe Concerto in E Minor, TWV 51:e1: I. Andante – II. Allegro molto – III. Largo – IV. Allegro – Johann Gottlieb GRAUM : Oboe Concerto in G Minor, GraunWV Cv:XIII:144: I. Allegro – II. Andante – III. Allegro moderato – Georg Philipp TELEMANN : Trio Sonata in C Minor for Oboe, Viola and Basso Continuo, TWV 42:c5: I. Adagio – II. Vivace – III. Affettuoso – IV. Allegro – Tomaso ALBINONI : Concerto a 5 in B-Flat Major, Op. 9 No. 11: I. Allegro – II. Adagio – III. Allegro.

Omar Zoboli, Oboe – Ensemble « Il Falcone » : Pablo Perrone & Gian Andrea Guerra, Violinen – Guido De Vecchi, Viola – Daniele Bovo, Cello – Federico Bagnasco, Violone – Paola Cialdella, Cembalo.

TAGEBUCH EINER MUSIKALISCHEN REISE (von Omar Zoboli)

Prolog

Im Barock entsteht das große Theater, in dem die Musik mit ihrem bedeutsamen Beitrag zur Inszenierung der Leidenschaften zunehmend Raum einnimmt (“Le umane passioni” nannte Vivaldi eine Serie seiner Violinkonzerte).
Durch das Studium dieser bekannten Oboen-konzerte habe ich mich mehr und mehr in eine Rolle der “Commedia dell‘arte” versetzt, gleichzeitig Schauspieler und Sänger.
Das Orchester wird zur Bühne, schafft den Raum, in den die Geschichten und musikalischen “Affekte” dieser Konzerte projiziert werden. Diese Darstellungen der menschlichen Psyche, symbolischer Ausdruck ihrer Zeit, sprechen uns heute noch an.

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Alessandro Marcello

Andante e spiccato: Die Oboe tritt mit der Eleganz eines edlen Gentleman, vielleicht eines reichen “patrizio veneziano” auf, “in stile teatrale – alla moda” wie bei Benedetto Marcello oder Baldassare Castiglione.
Die Oboe “Edelmann” stellt sich zunächst in zwei Phrasen vor, danach tauscht sie sich mit den Anwesenden aus.
Die Gruppe (Streicher) wird erst als Chor inszeniert, schrittweise aber erfolgt ein Dialog, der schließlich in inniger Übereinstimmung mündet.
Adagio: Marcello lädt uns zu einer Kontemplation von Formvollendung und Architektur ein. Wie beim ersten Satz folgt nach einer schlichten
Streicher-Einführung eine tiefe Verinnerlichung der Gefühle.

(Obwohl ich mehrere verzierte Versionen vorbereitet hatte, einige davon im Stile Bachs, setzte sich während unserer Aufnahme eine viel einfachere, improvisierte durch: Vielleicht wollte sich die barocke, ländlich-nüchterne Architektur der kleinen Kirche so Respekt verschaffen).
Presto: Der letzte Satz zieht uns in seinen Bann, eine fröhliche volksnahe Szene, in der Edle und Bürger zusammen unbeschwert feiern.
Die “Italianità” dieser Musik hat Bach als “Bearbeiter” bestimmt fasziniert und zu seinen wunderbaren “Kommentaren” d.h. neuen Harmonisierungen und Verzierungen inspiriert.

Antonio Vivaldi (oder: über “die unerträgliche Leichtigkeit” des musikalischen Dialogs)

Wir nehmen im Dorf Premanico auf, etwas ausserhalb von Genua, in den Bergen, im traditionellen Schutzgebiet vor Piraten, in einer Barockkirche: herrlicher Tag, perfekte Arbeitsatmosphäre, Ruhe.
Wir proben, diskutieren den Charakter einer Passage, da taucht eine Frage auf: Wie hat Vivaldi mit den Mädchen des Ospedale della Pietà, und vor allem mit der Oboistin “Pelegrina dell’oboe”, geprobt?

Und auch: Wie speziell konzipiert sind seine Konzerte, die er oft für die Mädchen komponierte?
Wie relevant der pädagogische Aspekt ist, zeigt sich besonders in unserem Oboenkonzert sehr klar. Vivaldi gab vermutlich in der Schule, wo er allen Musikerinnen auf den Leib komponierte, auch Hinweise auf die Interpretation, indem er direkt auf der Violine vorspielte. Die häufigen “Koloraturen” der Oboe sind mit extremer Leichtigkeit dargestellt, verständlich und klar auch für eine Fünfzehnjährige, ein “Spiel”, trotz des harten Lebens im
Internat, mit ihrer kleinen Oboe (wahrscheinlich einer hochgestimmte Denner), die leicht und schnell anspricht.

Dieser Gedanke hilft mir, mich dem Wesen dieser wunderbar einfachen Musik zu nähern.
Nach dem 1. Allegro, von überraschender Dynamik, ein 2. Satz, quasi nur ein Hauch eines Adagios, der 3. Satz, ein ländliches Allegro, eine Freude für alle Umstehenden und die Waisen des Ospedale.

Graun und Telemann

Ein angespannter Dialog des “Sturm und Drang”, in protestantischem Geist.

Aus einem imaginären Tagebuch von “messer” Antonio Francesconi, Bruder des venezianischen Händlers “messer” Floriano, der das erste öffentliche Café auf dem Markusplatz eröffnete.

7. September 1731
“Ich kam heute Abend mit meiner Ladung Seide und Gewürzen in Leipzig an.
Im Hotel, wo die Postkutsche Aufenthalt machte, konnte ich das berühmte Bier, Sauerkraut und Wild geniessen.
Am nächsten Tag habe ich Herrn Bach die Noten abgegeben, die er mit grosser Neugier empfangen hat.
Es folgte ein Abendkonzert im Café Zimmermann: Herr Bach spielte erst am Cembalo mit grosser Kunstfertigkeit ein schönes Konzert meines Freundes und Komponisten Alessandro Marcello, und danach ein Konzert von Herrn Vivaldi.
Schliesslich, begleitet vom Orchester, hörten wir Herrn Gleiditsch an der Oboe in einem beeindruckenden Konzert von Herrn Graun.
Der Oboist zeigte seine Virtuosität in den schnellen Sätzen, sowie Eleganz und cantablen Klang in einem sanften und pastoralen Andante.”

Ob Telemann in dieser Nacht gespielt hat und womöglich Zelenka an der Violone war?
Eine recht spannende Idee sich vorzustellen, wie zwei so unterschiedliche Geister sich mit Grauns Musik beschäftigten!

Ob G. Ph. Telemann tatsächlich an dem Abend im Café Zimmermann dabei war, werden wir kaum je erfahren.
In seinem Konzert in e-moll schildert er eine Welt, in der die persönlichen Gefühle mit mehr Abstand betrachtet werden, seine Musik klingt offizieller, öffentlicher, politischer. Eine klare Ordnung herrscht und Arkadien ist allgegenwärtig.

Andante: Elegant bekleidete Leute treffen zusammen: Wir können ihre (Streicher-) Stimmen am Anfang des Konzerts hören. Alle sprechen gleichzeitig und ab und zu hört man die Stimme des Gastgebers (der Oboe).

Allegro molto: der Satz scheint eine Jagdszene zu beschreiben, mit Verfolgung der Beute, in der Mitte eine kurze Pause, um Luft zu holen.

Largo: in der Empfangshalle eines “Lustschlosses”, mit Schokolade und Gebäck. Weniger Leute, ein ruhiger und angenehmer Ideen-Austausch.
Im 4.Satz (Allegro) geschieht etwas Unvorher- gesehenes, Aufregung, viel Bewegung, alle laufen hin und her, vielleicht ein Galopp, der Ansatz eines Sturms, Gerüchte von Kriegsnachrichten… Oder wurde der Herr von einer kapriziösen Kurtisane verlassen?

Tomaso Albinoni.

Musikwelt Albinonis zeigt eine höhere formale Stilisierung, einen Barock von fast klassischer Architektur. Sie erinnert mich an die Kirchen von Borromini in Rom.
Der Dialog zwischen Solist und Orchester im ersten und dritten Satz gleicht einer Choreografie, in der die melodischen Linien zusammen tanzen.
Das Adagio setzt, wie üblich, den Fokus mehr auf die Oboe, mündet aber in einen breiten Konsens mit den übrigen Instrumenten.

Telemann Trio-Sonate.

Hier befinden wir uns in einem privaten, noblen Verwandtenkreis. Die Szene spielt in einem Nebenraum, wir hören, wie sich die Leute unterhalten.
Sie geniessen Kaffee mit Süßigkeiten, einen fruchtigen Wein, die Konversation ist liebenswürdig, manchmal emotional geladen, trotzdem bleibt alles friedlich. Wie in einem Vermeer-Bild betrachten wir eine Familienaufnahme “von aussen” und stellen uns dazu eine Handlung vor. Was wollen uns diese perfekten Zeichnungen, diese bis ins kleinste Detail ziselierten Profile von Gesichtern und Melodien enthüllen?

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CHF 19.50

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