Cancionero de la Colombina - Ensemble Glosas | VDE-GALLO

Cancionero de la Colombina – Ensemble Glosas

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Cancionero de la Colombina : Anonymous: 57 Propiñán de Melyor – Juan de TRIANA: 91 Juyzio Fuerte Será Dado – Anonymous: 73 Juyzio Fuerte Será Dado – 52 Olvida tu Perdiçión – (sin título) [I] – Juan de TRIANA: 89 Aquella Buena Mujer – 88 Por Bever, Comadre – 71 La Moça Que Las Cabras Cría – Juan CORNAGO: 14 Qu’es Mi Vida Preguntáys – Anonymous: 95 No Tenga Con Vos Amor – 16 Mis Tristes Sospiros – Francisco de la TORRE: 48 Dime, Triste Coraçón – Enrique [Foxer]: 2 Pues Con Sobra De Tristura – Anonymous: 51 Pensamiento, Ve Do Vas – 31 Mirando, Dama Fermosa – (sin título) [II] – Juan de TRIANA: 66 Deus in adjutorium – 70 Pinguele, Rrespinguete – Anonymous: 79 Dic nobis, María (I) – 78 Ay, Santa María, Valedme – 79 Dic nobis, María (II) – 55 O Gloriosa Domina – 79 Dic nobis, María (III) – 75 Qué Bonito Niño Chiquito – Juan de TRIANA: 90 Dinos, Madre Del Donsel – Anonymous: 72 A Los Maytines.

Ensemble Glosas :
Marie-Claude Vallin – Guillemette Laurens – Josep Benet – Ariane Maurette – Sabine Weill – Eugène Ferré – Gabriel Garrido – Maria Cristina Kiehr – Sigrid Lee – Heidi Rosenzweig – Laurent Aubert – Luca Bonvini.


Am Ende des XVten Jahrhunderts steht Spanien am Kreuzweg der Geschichte. Die dreifache Zivilisation (Jüdisch, Arabisch, Christlich) nähert sich ihrem Ende, hinterlässt jedoch tiefe Spuren in der iberischen Seele. Im Jahre 1492 bemächtigen sich die Katholischen Könige Fernando de Aragon und Isabel de Castilla der Stadt Granada, der letzten Bastion der Araber auf der Halbinsel. Dabei wird Spanien nach einem siebenhundert Jahre langen Kampf für Freiheit und Glauben wieder vereinigt. Im selben Jahr beginnt ein neues Zeitalter für die Zivilisation: die Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus im Dienst der Katholischen Könige und das darauf folgende Abenteuer bringen Spanien an die erste Stelle unter den europäischen Staaten.

Das Cancionero der «Biblioteca Colombina» in Sevilla, eine Handschrift vom Ende des XVten Jahrhunderts, illustriert musikalisch diesen sich bei den Spaniern entwickelnden nationalen Geist. In dieser Sammlung von Liedern und Romanzen, «Cantilenas vulgares puestas en musica por varios españoles», löst sich allmählich ein eigener spanischer Stil von der niederländischen Schule, die den musikalischen Geschmack damals beherrschte. Der französisch-niederländische Einfluss auf die Polyphonie tritt vor der Einfachheit des neuen spanischen Chansons zurück: Die spanischen Musiker benutzen volkstümliche Formen und Themen sowie eine homophone Schreibweise. Ihnen ist es lieber, tiefe ästhetische Gemütsbewegungen durch minimalen technischen Aufwand zu bewirken. So trägt die Wahl sehr empfindsamer poetischer Texte für die Liebeslieder, die den größten Teil dieser Sammlung ausmachen, dazu bei, eine typisch nationale Art Chanson zu schaffen, die sich von dem französisch-niederländischen, am Burgundischen Hof beliebten Chanson unterscheidet.

Dieses Cancionero steht, mehr noch als das berühmte Cancionero de Palacio, an der Wende zweier Zeiten: Strikt polyphone Stücke (Qu’es mi vida preguntäys) befinden sich neben extrem einfachen Weihnachtsweisen; der bewusst «renaissancehafte» Charakter der einen steht im Gegensatz zu den archaischen Kadenzen der anderen. Auch in der Einrichtung der Stimmen und in der Instrumentierung gibt es Unterschiede: In den kontrapunktischen Stücken trägt die Oberstimme die Worte, während in den homophonen Stücken alle Stimmen mit dem Text gesungen werden können. In anderen Stücken gibt es mehrere Texte, die von zwei Sängern zur gleichen Zeit gesungen werden sollen, wie in einer «ensalada» (La moça que las cabras cria); diese Texte können einen weltlichen und einen geistlichen Text nebeneinanderstellen (Retorno a lo divino). Dies alles gibt dem Cancionero eine große Mannigfaltigkeit, so dass wir es in sechs Hauptthemen teilen konnten, von denen fünf (ohne die religiöse Polyphonie) die verschiedenen Gruppen dieser Aufnahme bilden.

Unter den ca. 95 Stücken dieser Sammlung finden wir mehr als 40 Liebes- und Trauerlieder, zehn mit ironischem oder satirischem Text, ein Dutzend der Jungfrau und dem Kinde gewidmet, zwölf auf Latein, einige epische Lieder und sieben ohne Text, wahrscheinlich instrumentale Stücke. Die Mehrzahl der Kompositionen sind dreistimmig, die vierstimmigen sind den feierlichen (religiösen oder epischen) oder den späteren, im homophonen Stil komponierten Stücken (Pensamiento, ve do vas) vorbehalten.

Die Komponisten des Cancionero, außer Ockeghem (zusammen mit Cornago Verfasser von Qu’es mi vida preguntäys) und Urrede, sind alle Spanier. Der produktivste ist Juan de Triana, vertreten durch zwanzig Kompositionen (davon sieben auf dieser Aufnahme), dessen Bedeutung hier mit der von Juan del Encina im Cancionero de Palacio verglichen werden kann. Enrique, Francisco de la Torre und die Anonymen, Verfasser herrlicher Liebeslieder, vervollständigen die Liste der Komponisten.

Die Instrumentierung wurde im Verhältnis zum Charakter der Werke und ihrer sozialen Funktion gewählt. Das «reine consort», mit der vierstimmigen Polyphonie verbunden, entspricht mehr der Klangvorstellung des XVIten Jahrhunderts, während die Flexibilität der dreistimmigen Stücke unseres Cancionero oft nach verschiedenen, wenn auch gleichwertigen Instrumenten verlangt. So spielen wir für die Liebeslieder die instruments bas: Vihuela de arco, Gamben, Lauten und Blockflöten, während die instruments hauts – Schalmeyen, Posaunen und Orgel – bei religiösen Festen und wichtigen Ereignissen verwendet werden, wie es im XVten Jahrhundert üblich war.

Beim Anbruch der Renaissance gibt das Cancionero de la Colombina ein spanisches Bild der europäischen Musik und zeigt den Aufschwung Spaniens und seiner nationalen Musik, die im nächsten Jahrhundert zu ihrem Höhepunkt gelangen und einen Ehrenplatz in der Musikgeschichte erobern wird.

Gabriel Garrido
Deutsche Übersetzung Ariane Maurette


Das Ensemble „Glosas“ ist im Jahre 1980 in Genf auf Anregung mehrerer Musiker entstanden, die durch die gleiche Leidenschaft für Musik des XVten und XVIten Jahrhunderts zusammenkamen: A. Maurette, S. Weill und G. Garrido aus der Schola Cantorum Basiliensis und E. Ferré, Preisträger des „Concours international de Guitare de O.R.T.F“, der dann in Laute spezialisiert wurde.

Sehr schnell erlaubt das Hinzutreten von M. Cl. Vallin, J. Benet und G. Laurens, erfahrene Sänger der neuen, im Stil der „alten Musik“ bewanderten Generation, dem Ensemble den Zugang zu einem mannigfaltigen und umfassenden Repertoire. In der Schweiz, Frankreich, Holland und Italien hat „Glosas“ mit Erfolg seine verschiedenen Programme dargeboten: li Gieus de Robin et Marion, das Chanson und die Diminution, il madrigale concertato, das Cancionero de la Colombina und Ludwig Senfl.

Der Name der Gruppe kommt vom Ausdruck „glosa“ (griech. glossa = Sprache), der die Erläuterung eines Textes bedeutet. In der Renaissance von den Spaniern benutzt, bezeichnet er die Verzierungspraxis, „Diminution“ genannt, die darin besteht, dass man eine lange Note in mehrere kürzere aufteilt; dies ist wesentlich für die Interpretation der Musik des XVten und XVIten Jahrhunderts. Ziel des Ensembles ist es, diese Musik auszulegen und den Geist eines gegebenen Textes durch die der Glosse innewohnenden Verzierungsfülle und Interpretationsfreiheit wieder zu erschaffen. Mit Hilfe der gegenwärtigen Kenntnisse in diesem Bereich und der neuesten Forschungen über Instrumentierung versucht „Glosas“ mit Begeisterung, diese Sprache wiederzufinden, die für das Begreifen unseres kulturellen Erbes heute unentbehrlich geworden ist.


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