Hans Werner Henze: Boulevard Solitude | VDE-GALLO

Hans Werner Henze: Boulevard Solitude (Live) – Elena Vassilieva – Jérôme Pruett – Carl-Johann Falkman – Orchestre des Rencontres Musicales, Ivan Anguelov

VEL1006

Hans Werner Henze: Boulevard Solitude

Prolog & Scene 1: Bahnhofshalle (Armand, Manon) – Scene 2: Mansardenzimmer (Armand, Manon, Lescaut) – Scene 3: Elegantes Boudoir bei Monsieur Lilaque (Manon, Lescaut, Lilaque père) – Scene 4: Universitätsbibliothek (Francis, Armand, Manon) – Scene 5: Kaschemme (Armand, Lilaque fils, Lescaut, Manon) – Scene 6: Im Haus Lilaque Fils (Manon, Armand, lescaut, Lilaque père) – Scene 7: Vor dem Gefängnis (Armand).

Manon Lescaut: Elena Vassilieva
Armand des Grieux: Jérôme Pruett
Lescaut: Carl-John Falkmann
Francis: Jean-Marc Salzmann
Liliaque père: Bruce Brewer
Liliaque fils: Daniel Ottevaere

Chœurs du TML Opera Lausanne
Chœurs d’enfants d’Epalinges
Orchestre des Rencontres Musicales, Ivan Anguelov, Leitung.

https://www.sinfonietta.ch/presentation/


Boulevard Solitude

Meine erste abendfüllende Oper mit dem für damalige Verhältnisse modischen Titel „Boulevard Solitude“ entstand in wenigen Monaten 1950-51 in Wiesbaden, wo ich seinerzeit als Ballett-Kapellmeister engagiert war. In jenen Jahren waren wir jungen Leute vom klassischen Ballett fasziniert, und die Choreographien und Bühnenbilder, zum Beispiel diejenigen, welche von den „Ballets de Paris“ 1949 auf ihrer Deutschland-Tournée gezeigt wurden, beeindruckten viele junge deutsche Künstler nachhaltig. In meiner Oper sind sicherlich auch Einflüsse dieser Art zu spüren, ebenso wie der Einfluss von Filmen, Graphiken und Jean Cocteaus Literatur, vom Jazz, von der modernen Oper von Weill bis Milhaud, kurz gesagt von all den schönen und interessanten Dingen, die uns während des faschistischen Regimes vorenthalten wurden.

Auch die Dodekaphonie wurde von uns wie eine Befreiung und eine Hoffnung empfunden und schien uns die Möglichkeit zu geben, menschliche Affekte neu und vertieft darzustellen, weil wir (nicht zu Unrecht) fanden, dass die freie Tonalität sich zum Heute verhält wie andere Errungenschaften unseres Jahrhunderts auch, beispielsweise die Psychoanalyse, das freie Versmaß in der Dichtung und ihre gegenständliche Materie. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Liebesszenen in „Boulevard Solitude“ zwölftönig komponiert sind, weil meine Dodekaphonie damals eine freie, un-bürgerliche Welt bezeichnen wollte, während die alte, korrupte Welt sich in der alten Tonalität präsentieren musste. Damals mochte ich die Kunstform Oper nicht sehr, es gefielen mir nur „Carmen“ und „Hoffmanns Erzählungen“, abgesehen von meiner unsterblichen Jugendliebe zu Mozart. Aber ich zog das Ballett vor, weil ich glaubte, dass die Bewegung im Raum, das Schwebende, das Leichte und das physisch Schöne Sinn und Geist der Musik mehr entsprachen als andere Darstellungsformen von Musiktheater. Erst langsam, bei der Komposition von „Boulevard Solitude“ und nach der Erfahrung, die mir die Uraufführung in Hannover 1952 vermittelt hatte, bemerkte ich, dass die Musik, wenn sie aus Menschenstimmen und aus menschlichen Körpern hervorkommt, eine viel direktere Wirkung hat als das Ballett, bei dem die Musik ja bekanntlich meist eine begleitende Rolle als ein unbequemes, aber irgendwie notwendiges Vehikel abgedrängt wird. In „Boulevard Solitude“ haben wir eine Mischform: einige Rollen werden gesungen, andere wiederum getanzt oder gemimt. Man könnte sagen, es handelt sich um eine Ballett-Oper, wie das französische Barock sie zum Modell gemacht hat.

 

Hans Werner Henze

CHF 28.00

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