Gustav Mahler: Das Lied von der Erde – Hedwig Fassbender, James Wagner – Ensemble Contrechamps, Armin Jordan
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Gustav MAHLER: Das Lied von der Erde
Das Lied von der Erde: I. Das Trinklied vom Jammer der Erde – Das Lied von der Erde: II. Der Einsame im Herbst – Das Lied von der Erde: III. Von der Jugend – Das Lied von der Erde: IV. Von der Schönheit – Das Lied von der Erde: V. Der Trunkene im Frühling – Das Lied von der Erde: VI. Der Abschied.
Hedwig Fassbender, Mezzosopran – James Wagner, Tenor – Ensemble Contrechamps, Armin Jordan, Leitung.
Gustav Mahler: Das Lied von der Erde, Transkription von Arnold Schoenberg und Rainer Riehn
Schoenberg begann die Transkription für Kammerensemble des Lieds von der Erde von Gustav Mahler im Herbst 1921. Sie war für die vom «Verein für musikalische Privataufführungen» organisierten Abende bestimmt, welchen er 1918 in Wien gegründet hatte, damit die Musik seiner Zeit unter optimalen künstlerischen Bedingungen gespielt werde. Ziel des Vereins war es einerseits, das Konservative und die Routine des offiziellen Musiklebens zu durchbrechen, die schon Mahler als Intendant der Oper verurteilte und bekämpfte. Andererseits ging es darum, die Vorurteile und die Kritiken der Presse zu beseitigen und die zahlreichen «Lücken» des Wiener Musiklebens auszufüllen. Bereits Anfang 1921 hatte Schoenberg die Lieder eines fahrenden Gesellen (1884-85) für kleines Ensemble umgeschrieben; sie wurden im 43. Konzert des Vereins gespielt. Es ist bezeichnend, dass Schoenberg sich zu den zwei Werken Mahlers hingezogen fühlte, die von allen die stärkste jüdische Prägung aufweisen. Er war auf seine ursprüngliche Religion zurückgekommen, nachdem er sich mit 18 Jahren zum Protestantismus bekehrt hatte, sicher des Drucks des aufsteigenden Antisemitismus‘ wegen. In beiden Werken lässt sich hinter der romantischen Figur des «Wanderers» unschwer die des ewigen Juden erkennen; und die Erde verkörpert weder die Heimat noch den Boden für die kommende Nazimythologie, sondern den Ort einer unmöglichen Verwurzelung, eines Risses: eine unerreichbare, verlorene Erde. Diese Themen existieren bereits in Schoenbergs Werken. Es ist durchaus möglich, dass der Autor der Jakobsleiter Mahlers Werk als Ausdruck seines eigenen Unbehagens und Unwohlseins empfand. Sechs Monate nach seiner Arbeit an den Liedern eines fahrenden Gesellen und sechs Monate vor der an dem Lied von der Erde wurde er aus der Salzburger Region – wo er normalerweise seinen Urlaub verbrachte – mit der Begründung ausgewiesen, er sei Jude und Juden seien dort unerwünscht. Die zwei heftigen Briefe, die er 1923 an seinen alten Freund, den Maler Vassily Kandinsky schrieb, zeugen sowohl von der Wichtigkeit dieser biographischen Begebenheit, als auch von seiner Klarsicht bezüglich der tragischen Konsequenzen, die eine solche Zurückweisung haben musste.
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Die Arbeit am Lied von der Erde blieb beim Entwurf. Schoenberg hatte seine «Reduktionsprinzipien» auf der ersten Seite der Orchesterpartitur notiert und danach die Partitur bis Takt 178 des ersten Liedes ausgeschrieben. Innerhalb des Schoenbergischen Kreises wurden Aufgaben wie Reduktion, Transkription und Konzertvorbereitung als Kollektivarbeit angesehen: es ist also möglich, dass er die Ausarbeitung für einen Assistenten vorbereitet hat. Der Prospekt des Vereins von November 1921 kündet das Werk für die kommende Saison in einer Transkription von Webern an; man hat davon allerdings nie etwas gefunden. Das Aufgeben des Projekts ist sicher mit der Tatsache verbunden, dass der Verein seine Tätigkeit aus finanziellen Gründen einstellen musste.
Die Idee, eine Orchesterpartitur für kleines Ensemble umzuschreiben, war noch sehr selten; sie kam auch im Rahmen des Vereins erst spät auf. Hingegen waren Klavierfassungen von Sinfonien (insbesondere diejenigen Mahlers, die regelmäßig auf dem Programm standen) gang und gäbe. Schoenbergs Prinzipien der Reduktion fasst Rainer Riehn wie folgt zusammen: «…mit reduzierten Mitteln ohne Verlust zu retten.» Es geht nicht darum, das Original neu zu denken und zu formulieren (was Busoni mit einem Klavierstück von Schoenberg – allerdings ohne diesen zu überzeugen – versuchte), sondern darum, ins Herz der musikalischen Idee einzudringen, den musikalischen und spirituellen Kern des Werks zu erfassen. Indem er die verschiedenen Stimmen von der Orchestermasse trennt, unterstreicht Schoenberg ihre strukturelle Funktion und ihre Ausdruckskraft, im Einklang mit seinem eigenen Kompositionskonzept. Zugleich verstärkt er eine Tendenz, die der Musik Mahlers – vor allem seit den Kindertotenliedern und der 5. Sinfonie – eigen ist: die Suche nach einer instrumentalen Schreibweise, welche einerseits die polyphone Struktur hervorhebt und andererseits durch die Verwendung von kammermusikähnlichen Kombinationen (wie zum Beispiel der Anfang der Kindertotenlieder) die schmeichelnden aber überflüssigen Orchestereffekte eliminiert.
Mahlers strenge Schreibweise durchbricht die Ästhetik der Imitation zugunsten der Distanzierung: bei ihm wird die Sentimentalität immer verfremdet, wie auch Märsche und Landler. Die virtuose Behandlung des Orchesters, auf der Magie der Klänge basierend, macht den Ansprüchen der musikalischen Konstruktion und des inneren Ausdrucks Platz.
Schoenberg respektierte die ursprüngliche Orchesterbesetzung in seiner Reduktion des Lieds von der Erde. Dieselben Farben und Klangverhältnisse wurden beibehalten: die Hauptstimmen sind von denselben Instrumenten besetzt. Harmonium und Klavier übernehmen die Nebenstimmen und die fehlenden Instrumente: das Harmonium spielt die zweiten Stimmen der Bläser, das Klavier spielt gewisse Solostimmen, wie die der Trompete und der Harfe; beide vervollständigen die Harmonie. Die reduzierte Besetzung soll dem Klang des Orchesters möglichst gleichkommen, dabei ist nur das Klavier problematisch: seine Verschmelzung mit dem Gesamtklang hängt sehr vom Interpreten ab.
Die Reduktion hebt eine weitere Charakteristik von Mahlers Satz hervor, die im großen Orchester oft untergeht: das Fehlen der Bassstimmen als harmonische und rhythmische Basis. Daraus entsteht ein freies Spiel der melodischen Figuren, welches sich zwischen Tonalität und Modus entfaltet und alles andere als einen akademischen Kontrapunkt erzeugt. Der ziselierte Charakter der Melodien in allen Stimmen wird durch Soloinstrumente und das Gewicht der Bläser im Verhältnis zu den Streichern hervorgehoben. Die Reduktion ist also gewissermaßen eine Analyse des Werks. Sie bezieht das Orchester Mahlers in die den Kompositionen der Wiener Schule so eigenen Sparsamkeit ein, ab der 1. Kammersinfonie Op. 9 von Schoenberg (1906) bis zu den Werken der drei Wiener anfangs der zwanziger Jahre. In ihr erscheinen greller und unmittelbarer als im Original der archaische Klangcharakter und die der Kindheit entrissenen musikalischen Figuren; die Mischung aus «fin-de-siècle»-Sentimentalität, existentieller Melancholie und Selbstironie, in einer Diatonik objektiviert, bricht mit dem wagnerischen Erbe. Der Ausdruck des Subjekts ist nur noch in der Distanz pathetisch, in der Zerbrechlichkeit einer von «Schluchzen durchgeschüttelten Prosa», wie Adorno so schön sagte. Die in einem Hauch angedeutete Einigkeit am Ende von «Abschied» besiegelt nicht wie bei Wagner (Isoldes Liebestod klingt nämlich im Hintergrund nach) eine letzte Versöhnung mit der Welt, sondern eine unwiderrufliche Zerrissenheit, einen Verlust, eine Auflösung.
Die Beziehung zwischen Schoenberg und Mahler war auf Solidarität, Freundschaft und Bewunderung aufgebaut. Mahler unterstützte den vom Wiener Establishment ausgestoßenen Komponisten bei Konzerten, wo dessen Werke Skandale auslösten. Auch finanziell half er ihm öfters. Schoenberg verteidigte Mahlers Musik mit viel Ehrerbietung bis zu seinem Tod und widmete ihm auch seine Harmonielehre (1911). Alma erzählt, dass Mahler noch auf seinem Sterbebett an ihn als seinen wahren spirituellen Sohn und Nachfolger dachte: «Wenn ich ihn verlasse, bleibt ihm niemand mehr!»
Rainer Riehn hat den Entwurf Schoenbergs so wie er war wieder aufgenommen und die Partitur im Sinne des Komponisten vervollständigt. Dabei hat er von seiner eigenen Arbeit über die Lieder eines fahrenden Gesellen profitiert. Das Werk wurde 1982 unter seiner Leitung an den «II. Toblacher Musikwochen» uraufgeführt.
Philippe Albèra
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